Hungarian Acacia

Kristóf Kelemen & Bence György Pálinkás

(c) Csanyi Krisztina
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Hungarian Acacia

Kristóf Kelemen & Bence György Pálinkás

Mit einem scharfsinnigen Kommentar auf die Politik Ungarns entwickeln Kristóf Kelemen und Bence György Pálinkás eine Performance gegen populistischen Nationalismus. Ihr satirisches Dokumentartheater setzt die Keimlinge für einen neuen Nationalmythos. Die ungarische Akazie – eigentlich ‚Gewöhnliche Robinie‘ oder auch ‚Falsche Akazie‘ – kam vor 300 Jahren über den Atlantik nach Ungarn. Inzwischen dient sie den Ungar*innen als Grundlage für Honig und Schnaps, ist wirtschaftliche Einnahmequelle und ein Symbol für nationalen Stolz. Als die EU im Jahr 2014 gegen gebietsfremde Arten vorgeht, nutzt Viktor Orbán diesen Fall für seine Anti-Brüssel-Kampagne: „Wir senden diese Nachricht nach Brüssel! Wir schützen das ungarische Land, die freie Pálinka-Destillation, den Honig und die Robinie!“ Als Gärtner*innen eines neuen Mythos ziehen Kelemen und Pálinkás ins Feld. Sie führen politische Aktionen durch, die die Akazie als Nationalsymbol für eine offene Gesellschaft umwerten – denn alle, die in ungarischem Boden Wurzeln schlagen, können Ungar*innen werden!

Infos

Dauer: 70 Min.
Sprache: Ungarisch mit deutschen Übertiteln
7.9. Kombiticket "Mund-Stück" + "Hungarian Acacia"

Im Anschluss Festivalparty im Mousonturm

 

 

Beteiligte und Förderer

Regie, Konzept:  Kristóf Kelemen, Bence György Pálinkás
Mit: Angéla Eke, Katalin Homonnai, Kristóf Kelemen, Márton Kristóf, Bence György Pálinkás
Musik: Márton Kristóf
Regieassistenz: Anita TotobÉ
Koordination Performer: Réka Judit Kiss
Set Konstruktion: Dániel Balázsi, Fanni Hegedũs
Licht- und Tontechnik: Mátyás Major
Fotos: Krisztina Csányi
Englische Übertitel: Miklós Zsàmboki
Deutsche Übertitel: Gábor Miklós Thury
Producktionsmanagement: Judit BÖRÖCZ

Koproduktion: Trafó House of Contemporary Arts, Workshop Foundation. Unterstützt durch: Trafó House of Contemporary Arts, FÜGE Productions – Independently Together, Workshop Foundation Budapest, Ministry of Human Capacities, National Cultural Fund, Jurányi Incubator House. Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie von der Bundeszentrale für politischen Bildung.

Mehr Informationen

Im Schatten der Pseudoakazie

von Esther Slevogt

Das Bäumchen ist zart und zweifelhafter Abstammung: die „robinia pseudoacacia“, auf Deutsch etwa „Akazie, die eigentlich eine Robinie ist“. In Ungarn ist der Baum ein sogenanntes „Hungaricum“, „eine spezielle, einzigartige, unverwechselbare, nur für Ungarn typische Sache, die durch Ungarn auch in der Welt bekannt ist“. Ein fragiler, kaum einen Meter hoher Setzling dieser Spezies steckt bei der Performance „Hungarian Acacia“ im satten Erdreich, aufgeschüttet auf einer Bühnenschräge. Bald beginnen die fünf Performerinnen und Performer zu sprechen, tanzen, spielen und singen. Martialische Märsche und anderes dokumentarisches Tonmaterial durchdringen die Szene, darunter auch nationalistische Parolen. Auf einer Videowand: Politikerinnen und Politiker der rechten Fidesz-Regierungspartei.

Das „post-faktische Dokumentarstück“, wie die Macher ihr Werk im Untertitel nennen, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit des Bildenden Künstlers Bence György Pálinkás und des Autors und Regisseurs Kristóf Kelemen: eine Mischung aus Multimedia-Performance, Poetry-Slam, Installation, Dokumentartheater und postdramatischem Historienstück. Wie hier die Gattungsgrenzen verschwimmen, hat ebenso System wie die Verwischung der Grenzen zwischen echtem und erfundenem historischen Material. Im Gegensatz zu Populisten, die selbst gern mit dieser Methode arbeiten und damit eher benebelnde und aufputschende Wirkungen erzeugen, erreicht das Kollektiv um Kelemen und Pálinkás das Gegenteil: Geschichtsund identitätspolitische Manöver werden als solche transparent gemacht – mit zärtlichem Spott und subversiver Komik.

„Hungarian Acacia“ entwickelt seinen hintergründigen szenischen Kommentar zur Lage der ungarischen Nation aus einer ökologischen Groteske der EU: 2014 erklärte deren Umweltkommission, dass die ungarische Akazie gar keine ungarische, sondern eine amerikanische Akazie sei und sich als „Invasive Alien Species“ erst im 18. Jahrhundert in Ungarn ausgebreitet habe. Wo sie sich seitdem zu einem veritablen Wirtschaftsfaktor entwickelte: zehn Prozent des in der EU produzierten Akazienhonigs stammen aus Ungarn. Die EU-Indizierung verursachte also einen Aufschrei in Ungarn und hysterische Aktionen, um den Ruf des Baumes als nationales Symbol im Bewusstsein der Bevölkerung noch tiefer zu verankern. Obwohl doch die ungarische Regierung seit dem Sieg der Fidesz-Partei im Jahr 2010 schließlich großräumig genau das Ziel verfolgt, alle unungarischen Triebe und Umtriebe massiv zu bekämpfen, das Land einzumauern, um es vollkommen gegen Invasive Alien Species abzuschirmen! Zum Beispiel gegen solche, die hierher aus Kriegsgebieten flüchteten.

Aus diesen Widersprüchen – und dem Paradox, dass eine eingewanderte Spezies im xenophoben Ungarn zum Nationalsymbol werden konnte – schlagen Kelemen und Pálinkás ihr Kapital. Mit naivem Grundton werden erst die verwaltungstechnischen Grundlagen des Plots referiert, dann schraubt sich das Stück affirmativ in immer absurdere Höhen (und vor allem Abgründe) ungarischer Gegenwartspolitik hinein. Das Ganze ist mit hohem musikalischen Gespür für Rhythmus und Atmosphäre gebaut und auch ein Lehrstück über den Umstand, dass nationalistische Geschichtskonstruktion stets nur tendenziöse und postfaktische Behauptung ist.