In ihren explosiven und körperlich intensiven Stücken verarbeitet Florentina Holzinger Referenzen aus der Performance- und Tanzgeschichte sowie aus anderen Disziplinen wie Kickboxen, Artistik, Striptease und Yoga. Und so wundert es nicht, wenn die Choreografin ihr neues Stück TANZ als „sylphidische Träumerei mit Stunts“ beschreibt. Sie versammelt Tänzerinnen unterschiedlicher Generationen und Kontexte um sich und fragt, was es heißt, sich in eine Ahnenfolge einzureihen, die sich auf ein Konzept von Schönheit bezieht, die den weiblichen Körper überhöht und funktionalisiert. Was sich zunächst als eine von Beatrice Schönherr geleitete Ballettklasse tarnt, die als erste Primaballerina den Sacre du Printemps nackt tanzte, entwickelt sich zu einer rigorosen Studie über die Industrie des Blicks und die Disziplinierung des weiblichen Körpers. Referenzpunkte sind dabei Stuntshows, Pornografie und das romantische Ballett des 19. Jahrhunderts mit seinen Sylphiden, beflügelte Waldfeen, die das Konzept von Schwerelosigkeit repräsentieren.
Infos zum Stück auch hier: www.tanzfestivalrheinmain.de
Infos
Ab 18 Jahren
Dauer: 120 Min.
Mousonturm Koproduktion
Achtung: Wir weisen darauf hin, dass im Stück Blut eingesetzt wird und dass in einigen Szenen selbstverletzende Handlungen zur Darstellung kommen, die auf manche Zuschauer*innen eine verstörende Wirkung haben könnten.
Beteiligte und Förderer
Konzept, Performance, Choreografie: Florentina Holzinger
Performance von und mit: Renée Copraij, Beatrice Cordua, Evelyn Frantti, Lucifire, Annina Machaz, Netti Nüganen, Suzn Pasyon, Laura Stokes, Veronica Thompson, Lydia Darling
Videodesign, Livekamera: Josefin Arnell
Sounddesign, Livesound: Stefan Schneider
Lichtdesign, Technische Leitung: Anne Meeussen
Bühnendesign: Nikola Knezevic
Bühnenassistenz: Camilla Smolders
Technische Assistenz: Koen Vanneste
Dramaturgie: Renée Copraij, Sara Ostertag
Coaching: Ghani Minne, Dave Tusk
Musikcoach: Almut Lustig
Outside eye: Michele Rizzo, Fernando Belfiore
Theorie, Recherche: Anna Leon
Beratung Kostüm, Schneider: Mael Blau
Prothetik, Maske: Studierende des Studiengangs Maskenbild an der Theaterakademie August Everding (München), Marianne Meinl
Unterstützung Stunts: Haeger Stunt & Wireworks
Stuntinstruktor*innen: Stunt Cloud GmbH (Leo Plank, Phong Giang, Sandra Barger)
Management: Something Great (Berlin) & DANSCO (Amsterdam)
Internationale Distribution: Something Great (Berlin)
Produktionsleitung: Laura Andreß
Finanzverwaltung: Julia Haas/SMART (Wien)
Produktion: Spirit. Koproduktion: Tanzquartier Wien, Spring Festival, Theatre Rotterdam, Künstlerhaus Mousonturm und Hessisches Staatsballett im Rahmen der Tanzplattform Rhein-Main, Arsenic, Münchner Kammerspiele, Take Me Somewhere Festival, Beursschouwburg, deSingel, Sophiensaele, Frascati Productions, Theater im Pumpenhaus, asphalt Festival. Unterstützt durch: O Espaço do Tempo, Fondation LUMA, De Châtel Award und das Frankfurt LAB. Gefördert durch: Kulturabteilung der Stadt Wien, dem Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur (BKA) und Performing Arts Fund NL.
Das Tanzfestival Rhein-Main ist ein Projekt der Tanzplattform Rhein-Main. Die Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt von Künstlerhaus Mousonturm und Hessischem Staatsballett, wird ermöglicht durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und gefördert vom Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main, dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Stiftungsallianz [Aventis Foundation, BHF BANK Stiftung, Crespo Foundation, Dr. Marschner Stiftung, Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main].
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Fliegen lernen
Die Choreografin Florentina Holzinger hadert mit dem traditionellen Ballett. Zeit für eine Aussöhnung.
von Andrea Heinz
Florentina Holzinger hat schon viele Superlative verpasst bekommen: „Superstar der freien Tanzszene in Österreich“ (Der Standard) etwa, oder „Extrem-Performerin“ (profil). Extrem ist tatsächlich, was die 1986 geborene Österreicherin auf der Bühne aufführt, angefangen bei dem gemeinsam mit ihrem langjährigem Bühnenpartner Vincent Riebeek erarbeiteten „Kein Applaus für Scheiße“ (2011) bis hin zu „Apollon“, das 2018 für den renommierten österreichischen Nestroy-Preis nominiert war. Holzinger scheut weder Nacktheit noch Trash oder Körperflüssigkeiten, in „Apollon“ kam dazu noch das Element der Sideshow: Nägel, die in Nasenlöcher getrieben, Nadeln, die unter die Haut geschoben werden. Natürlich, man kennt das von der Body Art der 1960er- Jahre, und als Wienerin ist Holzinger auch mit der Tradition der Aktionskunst vertraut. Was ihre Arbeiten, die allesamt auch am Mousonturm zu sehen waren, aber so unwiderstehlich macht, das ist ihre Lässigkeit. Furchtlos vermischt sie die einst so bierernst betriebene Körperkunst mit popkulturellen Versatzstücken, Ironie und einem großen Schuss Humor.
Sie selbst sagt über ihre Stücke: „Im Endeffekt will ich nichts anderes, als Leute zu unterhalten – in erster Linie mich selber.“ Dabei unterhalten ihre Arbeiten nicht nur, sie geben auch zu denken, verhandeln klug und unverkrampft Themen, die nicht erst seit #MeToo virulent sind: Sexismus auf, hinter und vor der Bühne, Zuschreibungen und Normen, denen Körper unterliegen, weibliche Selbstermächtigung. So rotzig und leichtfüßig ihre Stücke dabei auch daherkommen mögen: Holzinger, ausgebildet an der Amsterdamer School for New Dance Development (SNDO), ist eine hochprofessionelle Choreografin und Performerin. Auch wenn sie mit der klassischen Disziplin des Balletts oft hadert, so hat sie sich doch intensiv mit ihr auseinandergesetzt – und begeistert sich immer noch für sie.
Das wird wohl auch in ihrer neuesten Arbeit „TANZ“ zu spüren sein, nach „Recovery“ und „Apollon“ letzter Teil einer Trilogie und laut Holzinger „eine Abrechnung, aber auch eine Art Aussöhnung mit der Tradition“. Während sie in „Recovery“ einen schweren Bühnenunfall verarbeitete, sich mit Kampfsport und „dem Körper als Maschine für Special Effects“ auseinandersetzte, und in „Apollon“ ihre Rolle als Choreografin und den männlichen Blick im Tanz und auf der Bühne thematisierte, wird der letzte Teil eine Art Synthese: „Ich will das alles noch mehr auf den Punkt bringen.“
Wie der Titel schon sagt, wird Tanz verhandelt, dieses nonverbale Terrain, in dem sich die Tänzerin darin schult, aus ihrem Körper heraus zu gehen und Übernatürliches zu bewerkstelligen. Es geht um seine Tradition, das Weitergeben von Techniken, Wissen und Erfahrung. Auch hier erwartet das Publikum spektakuläre Unterhaltung: Mit einem Ensemble von zehn Frauen zwischen 20 und 80 Jahren hat Holzinger die sogenannten sylphidic studies erfunden – sie wollen das Fliegen erlernen. Und auch eine Porno-Produzentin wird eine Rolle spielen: „In Ballett und Pornografie ist der Körper ein Objekt – es gibt keinen wirklichen Charakter, keine Entwicklung, keinen echten Tod oder Leiden“, so Holzinger. „Ballett und Pornografie sind nicht realistisch und durchaus grotesk. Beides hat deswegen auch großes humoristisches Potenzial.“