Im Achselhaarwald
Der Körper als Knotenpunkt von Selbstwahrnehmung und Fiktion, Anpassung, Korrektur und Kritik – Janna Pinsker und Wicki Bernhardt schaffen mit ihrer neuen Performance „Boom Boom“ ein Podium für Körper(-teile). Eine Uraufführung für alle ab 12.
VON ANTIGONE AKGÜN
Heute habe ich es nicht geschafft, mich zu melden. Bei meinem Körper. Auch die letzten Monate, ja sogar Jahre nicht. Zumindest nicht bewusst. Diese Körper- Ich-Beziehung ist schon sonderbar. Selbst wenn man nicht einmal Fan vom Leib-Seele-Dualismus bei Descartes ist. Das Ich ist der Körper – und dennoch wird diese Einheit durch eine schleierhafte Trennlinie gestört, welche Einseitigkeit mit sich bringt: Obwohl Ich und Körper die alltäglichen Reizüberflutungen von individuellen Erfahrungen einerseits und großen sozialen, politischen und kulturellen Normen und Erwartungen andererseits stets als Team zu meistern versuchen, sucht nur der Körper den Dialog zum Ich. Und auch nur dann, wenn es etwas höchst Dringliches zu besprechen gibt.
Dann erfüllt der Körper das Ich mit pochenden Schmerzen oder durchflutet das Gesicht mit rötlicher Farbe, während es zugleich die Temperatur hochschraubt. Ansonsten hat der Körper das Ich durch alle Lebenslagen zu begleiten – immer sein bestes Gesicht zeigend und Mannigfaltiges erduldend: Im gegenwärtigen Zeitalter der fortwährenden Selbstoptimierung verdient sich der Körper seine Liebe nicht selten lediglich, wenn er den gesellschaftlichen Leistungsansprüchen gleichkommt. Aber erfährt der Körper denn jemals Liebe? Oder findet er zumindest Gehör? Wie ist es bei Ihnen? Wann haben Sie sich das letzte Mal mit Ihrem Bein auf den Balkon gesetzt und nachgefragt, wie es ihm geht? Und würden Sie mit ihrem Bein auch dann sprechen, wenn es behaart oder jenseits der Norm wäre? Auf dem Balkon – vielleicht. Aber auf einem öffentlichen Platz und gänzlich ohne Scham?
Scham. Auch so eine Sonderbarkeit in der Körper-Ich-Beziehung. Ausgelöst durch isolierende Mechanismen einer Gesellschaft, welche aus gezielten Machtinteressen heraus über die Norm bestimmen und alle anderen Körper abwerten oder diskriminieren will.
Doch was passiert, wenn das Ich diese Mechanismen der gesellschaftlichen Blick- und Identitätspolitiken reflektiert und gemeinsam mit einzelnen Körperteilen revoltiert, um alle Körper in ihrer Diversität zu ermächtigen? Dieser Frage und Aufgabe hat sich das Choreografie- und Performance-Duo PINSKER+BERNHARDT angenommen. In ihrer neuen Arbeit „Boom Bom“ wollen sie das menschliche Scham-Empfinden untersuchen und durch verschiedene Ebenen von Choreografie, Sounddesign und Performance einen Dialog zwischen Mitwirkenden, Publikum und besonders großen und kleinen Körperobjekten herstellen, um über den Körper als Knotenpunkt zwischen Eigenwahrnehmung und Fiktion, zwischen Anpassung, stetiger Korrektur und Kritik nachzudenken.
PINSKER+BERNHARDT, die seit 2017 bereits mit Objekten arbeiten und darüber sehr gelungen auf abstrakte Weise sozialpsychologische Phänomene verhandeln, richten sich auch dieses Mal an ein Publikum ab 12 Jahren: und ermöglichen so vielleicht ein Empowerment in einem phantasmagorisch schweißtropfenden Achselhaarwald.