Simon(e) van Saarloos, Rahel Barra, Natal Igor Dobkin
Nocturnal Queer Bodybuilding spielt mit der Energie von Drag-Performances und der Besonderheiten von Sport-Praktiken. Die Performer:innen treten ein, positionieren sich wie Bodybuilder:innen, fast nackt, Brüste wie ausgebeulte Muskeln, blicken ins Publikum – trotzig und stolz. Sie machen sich bereit, begießen sich gegenseitig mit Öl auf, klatschen auf Haut. Die Performer:innen durchlaufen eine Choreografie von Übungen, feuern sich gegenseitig an, stehen im Wettbewerb zueinander, aber auch in gegenseitiger Abhängigkeit: Sie benutzen sich gegenseitig als Gewichte. Schwere Atmung wird zum Rhythmus, zum Looping. Das Publikum taucht ein in die spezifische Zeitlichkeit des Bodybuildings, eines Fitnessstudios, das in sich selbst geloopt, perfektioniert und aus der Alltagszeit herausgelöst ist. Ganz wie Kathy Acker fragt: “What actually takes place when I bodybuild? The crossing of the threshold from the world defined by verbal language into the gym in which the outside world is not allowed.” ("Was findet eigentlich statt, wenn ich Bodybuilding betreibe? Das Überschreiten der Schwelle aus der, durch verbale Sprache definierten, Welt in das Fitnessstudio, in dem die Außenwelt nicht erlaubt ist.") Bodybuilding ist eine hochgradig codierte Körperpraxis, die verschiedene Stufen der sozialen Anerkennung durchlaufen hat. Zunächst eingestuft als Beschäftigung der „Unterschicht" bis hin zum körperlichen Ideal, das in Hollywood-Filmen dargestellt wird. Obwohl gesagt wurde, dass Bodybuilding androgyne Körper produziert, die die Geschlechter-Differenz auflösen, produziert die populäre Rezeption des Bodybuildings eher normative Bilder. Indem wir die traditionellen Gesten des Bodybuilders aus einer queeren Erfahrung heraus ausführen, versuchen wir, Störungen in einer ansonsten stark protokollierten Körpersprache zu erzeugen. Dabei kombinieren die Performer:innen Erfahrungen mit traumatischen Ereignissen, die in direktem Zusammenhang damit stehen als „weiblich" gelesen zu werden mit Kampf- und Kontaktsportarten und kreieren so eine Performance, die Fragen von Gewalt, Stärke, Drag Play und Wahrnehmung beinhaltet. Was wird als Stärke wahrgenommen, welche Körper können Muskeln und Dehnungen ausüben? Wer darf sich ausruhen, wessen Präsentation von Kraft gilt als affektiv? In dieser Queer Bodybuilding-Performance wird die Verkörperung als (gender-)queere Menschen und der Wunsch, sich stark zu fühlen und zu erscheinen, ohne normative Männlichkeit zu perpetuieren oder nachzuahmen, erforscht. Wessen Queerness wird repräsentiert und wessen Queerness schließen die Performer:innen als weiße Personen aus, die halbnackt, mit kurvigen, aber nicht fetten Körpern auftreten? Wie überspielen wir die verschlungene Verbindung zwischen Bodybuilding und Ideologien von Gesundheit und Stärke? Zunächst nehmen die Performer:innen „klassische" Bodybuilding-Posen ein, um sie dann weiterzuentwickeln. Es geht aber vor allem darum, Muskeln zu zeigen. Es werden Posen entwickelt, die anstelle von Muskeln anderes Gewebe zeigt: Bindegewebe, Fettgewebe, knöchernes Gewebe, fantastisches Gewebe und das Gewebe, das zwischen uns aufgebaut wird. Mal in Zeitlupe, mal im Zeitraffer wird mit übertriebenen Bewegungen und Sensationslust gespielt. Nach der Performance laden Rahel und Simon(e), noch mit Öl bedeckt und halbnackt, das Publikum zu einem kurzen Gespräch über das gemeinsam Erlebte ein.
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