Wed. 01.03.2017

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der japanische Theaterregisseur Akira Takayama und sein Kollektiv Port B machen vom 2. bis 26. März 2017 mit der McDonald‘s Radio University (Produktion Port B und Mousonturm) Migrantinnen und Migranten aus Afghanistan, Syrien, Pakistan, Ghana, Burkina Faso, Eritrea und dem Iran zu Lehrenden. Ihren Vorlesungen kann man in sieben Frankfurter McDonald’s Filialen (live), aber auch im Lokal des Mousonturms folgen, das sich während des Projektes in eine vom japanischen Architekten Keigo Kobayashi gestaltete Musterfiliale der McDonald’s Radio University verwandelt. Ausgehend von den persönlichen Forschungsinteressen und Lebenserfahrungen der Lehrenden finden sich im Vorlesungsverzeichnis, das ab 1.3. auf www.mru.global veröffentlicht wird, Beiträge aus Naturwissenschaft, Architektur, Wirtschaft, Philosophie, Politik, Kunst- und Kulturwissenschaften, Journalismus, Sport und weiteren Fachgebieten. Parallel zeigt der Mousonturm eine Ausstellung zu diesem Projekt, mit dem Takayamas europaweit angelegte Reihe European Thinkbelt 2016-2018 beginnt – eine Hommage an die Utopie des britischen Architekten Cedric Price, den Potteries Thinkbelt (1966). Takayama entwickelte daraus die Idee einer erweiterbaren Plattform des Lernens und Denkens im Kontext von Flucht und Migration, die sich – in Restaurants der global agierenden Kette McDonald‘s – bis 2018 quer durch Europa erstrecken soll. Zur Eröffnung der McDonalds Radio University am 2.3. ist ab 19 Uhr auch das Frankfurter Radio – Projekt Good Morning Deutschland mit einer Live-Sondersendung im Mousonturm zu Gast.

McDonald’s Radio University – Vorlesungen

Architektur
Die Zukunft der Ruinen (Deutsch)       
Eine Architektin aus Aleppo setzt sich in ihrem Vortrag mit dem Begriff der „Ruine“ auseinander und imaginiert Aleppos zukünftige Stadtplanung anhand visionärer Vorschläge.

Biologie    
Biologie und die menschliche Perspektive (Englisch)        
Ein eritreischer Wissenschaftler und ehemaliger Lehrer erläutert die Beziehung zwischen Wissenschaft, Religion und Leben am Beispiel der Evolutionstheorie und Biotechnologie.

Englisch   
Im Kreis der Sprachen (Englisch)        
Eine Linguistin aus Pakistan spricht über ihre zwei Muttersprachen und beschreibt sie anhand von Beispielen aus einer alten Urdu Geschichte und ihren Begegnungen mit der amerikanischen Populärkultur.

Internationale Beziehungen 
Ein Kulturzentrum in der Finanzhauptstadt (Englisch)
Eine Kulturproduzentin aus Damaskus plant ein arabisches Kulturzentrum mit Sprachkursen, Restaurant und Veranstaltungen in der Finanzmetropole Frankfurt am Main.

Journalismus     
Nizar Nayouf und die Suche nach der Wahrheit (Deutsch)
In seinem Vortrag spricht ein syrischer Experte über den Journalisten und Historiker Nizar Nayouf, die Situation der syrischen Medien und die Aufgabe des Journalismus.

Kochen
Diaspora Cuisine – Heimat kochen (Englisch)
Eine Spezialistin für Esskultur aus Damaskus entwickelt ausgehend von der syrischen Küche den Begriff „Essen als Heimat“ und zeigt die sozial integrierende Dimension des Kochens auf.

Literatur   
„Der Alchemist” und die Balkanroute (Deutsch)      
Ein Autor aus Damaskus beschreibt in seiner Erzählung die Reise in Paulo Coelhos Roman „Der Alchemist“ und seine eigene Reise von Syrien nach Deutschland auf der Balkanroute.

Medienwissenschaft  
Radio als Freiheitsmedium (Deutsch)
Ausgehend von den Aktivitäten des Poeten Tin Moe und des Radio-Pioniers Eugene McDonald diskutiert eine Expertin aus Aleppo zukünftige Möglichkeiten des Mediums Radio.

Musik       
Hip Hop in Syrien (Englisch)      
Ein Musiker aus Damaskus beschreibt die Geschichte des syrischen Hip Hop anhand originaler Lyrics und Lieder der wichtigsten Gruppen und zeigt die Möglichkeit von „rap as shelter”.

Philosophie       
Bauen Wohnen Denken (Englisch)
Ein Wirtschaftswissenschaftler aus Afghanistan liest Martin Heideggers Vorlesung und erweitert sie um neue Möglichkeiten des „Bauen-Wohnen-Denkens“ und der Versammlung.

Sportwissenschaft     
Rennen, um zu überleben (Englisch)   
Ein ehemaliger professioneller Läufer aus Ghana erzählt, wie er mit dem Laufen anfing und er spricht über die Geheimnisse und Phänomenologie des Rennens.

Rechnungswesen      
Geflüchtete als Unternehmer und das Management des internen Rechnungswesens (Englisch)
Ein Professor für internes Rechnungswesen aus Eritrea berichtet aus seinen Erfahrungen und aktuellen Forschungen zu effektiver Integration und Geflüchteten als Unternehmern.

Risikomanagement     
Was ist das größte Risiko im Leben? (Deutsch)
Ein Industrietaucher aus dem Iran übersetzt seine beruflichen Erfahrungen in generelle Risikovermeidungsstrategien und erläutert, was das größte Risiko im Leben ist.

Urbanistik 
Überlebensstrategien im urbanen Raum (Englisch) 
Ein professioneller Stratege aus Burkina Faso zeigt alternative Überlebensstrategien in der Stadt auf und teilt seine speziellen Erfahrungen und sein Wissen.

Wissenschaftsforschung    
Das Parlament der Dinge (Deutsch)    
Ein Wissenschaftler aus Aleppo entwickelt ausgehend von der Idee „Das Parlament der Dinge“ des französischen Philosophen Bruno Latour seine eigene Vision einer zukünftigen Gesellschaft.

Texte von Akira Takayama aus der Ausstellung
European Thinkbelt 2016-2018, Teil I: McDonald‘s Radio University
im Künstlerhaus Mousonturm

Über European Thinkbelt
von Akira Takayama

European Thinkbelt ist eine Hommage an den Plan Potteries Thinkbelt von Cedric Price. Gleichzeitig ist es ein Theaterprojekt, das sich von einer Region aus auf Europa ausweitet und sich als Reaktion auf die sozialen Probleme der Flüchtlingskrise versteht. Konkret wird der Weg von Frankfurt bis Athen in eine „Universität“ verwandelt und ein „Thinkbelt“ (Denkgürtel) geschaffen. Dieser „Thinkbelt” reicht von Frankfurt (Deutschland) bis nach Athen (Griechenland), wobei auch bei diesem Plan bereits vorhandene „Punkte“ und „Linien“ genutzt werden. „Punkte” bezeichnet die McDonald’s Filialen und „Linie” die Balkanroute, über die Flüchtlinge nach Europa gezogen sind. Um daraus eine „Universität” zu gestalten, werden in McDonald’s-Restaurants entlang der Balkanroute „Professoren” entsandt, um dort „Vorlesungen” zu halten. Die „Professoren” sind Flüchtlinge, die auf ihren jeweiligen Erfahrungen, ihrem Denken und Wissen basierend „Vorlesungen” halten, live über Radio. Aus McDonald’s wird eine „McDonald’s Radio University” und der „belt“ (Gürtel), der die vielen „McDonald’s Radio Universities” von Frankfurt bis Athen verbindet, ist der „European Thinkbelt”.
Das Projekt European Thinkbelt ist ein Versuch, den Fluchtweg der Flüchtlinge in eine „Universität” zu verwandeln, aber gleichzeitig auch ein Projekt, um die geschlossenen Grenzen zu überqueren, die Städte zu verbinden und das wie Porzellan zerbrochene Europa mit dem „Gürtel“ (belt) des “Denkens (think)” der Flüchtlinge zu reparieren.

Go to McDonald’s Radio University!
von Akira Takayama

McDonald’s verwandelt sich in eine „Universität“. Die „Professoren“ sind Flüchtlinge und halten in den McDonald’s Restaurants „Vorlesungen“.
Hier in Frankfurt wurden 15 verschiedene „Vorlesungen“ von 15 „Professoren“ erarbeitet. Jeder kann „studieren“, aber McDonald’s ist ein offener Raum, dort sind auch andere Kunden, der Ort gehört nicht uns allein. Das normale McDonald’s-Restaurant soll gleichzeitig zu einer „McDonald’s Radio University“ werden. Um diese Doppelsituation zu schaffen, müssen auch die „Studierenden“ Solidarität üben. Sie sollten nicht vor dem
„Professor“ Platz nehmen. Sie bekommen ein tragbares Radio, um über eine bestimmte Frequenz die Vorlesung zu hören. Sie spielen zwei Rollen, „Kunden” und “Studierende“, damit die eindeutige Sichtbarkeit der „Professoren“ und „Vorlesungen“ vermieden wird. Es gibt einen Grund für die Zusammenarbeit mit McDonald’s. Unter den europäischen Restaurants nimmt McDonald’s die meisten Flüchtlinge und Immigranten sowohl als Arbeitnehmer wie auch als Kunden auf und ist somit zu einem Modell der Integration geworden. Theater und Museen plädieren mit lauter Stimme für die Aufnahme der Flüchtlinge, doch McDonald’s verwirklicht bereits multikulturelles und multiethnisches Zusammenleben. Außerdem dienen die Filialen der Kette nicht nur als Restaurant, sondern auch als Treffpunkt und Notunterkunft. „Go to McDonald’s Radio University!“ Jetzt werden neben Hamburgern auch „Vorlesungen“ angeboten. Dort werden wir das Wissen, das Europa verloren geht, erwerben und eine tolerante Haltung lernen können.

* Während der Veranstaltungszeit imitiert das Lokal im Künstlerhaus Mousonturm die „McDonald’s Radio University”. Nachdem man hier das Modell erlebt hat, geht es weiter zur “McDonald’s/McDonald’s Radio University” in der Stadt!


European Thinkbelt – die Weiterentwicklung
von Akira Takayama

Aus dem Verbund aller McDonald’s Radio Universities entsteht der
European Thinkbelt. Nach dem Beginn im Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt (Deutschland) kooperieren wir mit Partnern in Wien (Österreich), Budapest (Ungarn), Belgrad (Serbien), Skopje (Mazedonien) und Athen (Griechenland) als unserer Endstation. Wir hören die Stimmen der sich dort (zeitweilig?) aufhaltenden Flüchtlinge, formulieren gemeinsam die „Vorlesungen“, die in den McDonald’s in den Städten gehalten werden, und bauen in den jeweiligen Theatern und Museen die Installation des
European Thinkbelt und das Modell der McDonald’s Radio University auf. Übrigens gibt es in Athen, an unserer Endstation, nur ein McDonald’s, deshalb ist eine neue Filiale geplant: Wir denken gerade an ein Schiff, das mitten auf dem Ägäischen Meer als „McDonald’s/McDonald’s Radio University“ Hamburger, Informationen und Schutz gleichzeitig bietet.


Über Potteries Thinkbelt
von Akira Takayama

Potteries Thinkbelt ist ein Plan des englischen Architekten Cedric Price (1934-2003), der 1966 entworfen, aber nie umgesetzt wurde. „Potteries” bezeichnet die Region North Staffordshire, ein ehemals wichtiger Standort der englischen Keramik- und Porzellanindustrie. In den 1960er Jahren hatte die Industrie zunehmend an Bedeutung verloren und Price schlug vor, dort
Forschungseinrichtungen einer Universität und einen Wohnbezirk zu bauen, um die Region wiederzubeleben. Entgegen üblicher Campusstrukturen sollten die Universitätseinrichtungen für 20.000 Studierende an sorgfältig ausgewählten Orten wie ein Gürtel (belt) miteinander verbunden sein. Damals gab es in der Region ein Netzwerk von Eisenbahnen und Autobahnen, aber mit dem Niedergang der Keramik- und Porzellanindustrie wäre es nutzlos geworden. Deshalb wollte es Price in eine Universität umbauen, die eine völlig neue Form des Austauschs bieten sollte. In ehemaligen Güterbahnhöfen sollten Vorlesungen gehalten werden. Hierfür wurden Bildungseinrichtungen als Raummodule entworfen, die man mit der Eisenbahn transportieren und wieder aufbauen konnte. In einer Zeit, in der eine Universität nicht mehr als eine Community funktionierte, folgte
Potteries Thinkbelt zwar dem Trend der Dezentralisierung von Universitäten, sah aber vor, einen mobilen Campus zu schaffen. Die Einrichtungen der Industrieregion sollten umgenutzt werden, um ein Medium für eine neue Entwicklung in der Region zu sein und gleichzeitig die Existenzform der Universitäten entscheidend zu verändern. Es war ein Projekt, das regionale Eisenbahnnetz in eine Universität umzubauen und die Städte in Orte des Lernens zu verwandeln.


Akira Takayama / Port B

Takayama gründete Port B 2002. Er entwickelt Projekte, die den bestehenden Rahmen des Theaters aufbrechen und sich kollaborativ mit anderen Medien vernetzen. Er arbeitet an der zeitgenössischen Form einer so genannten „Architektur des Theaters“, bei der er die Praxis des Theaters und des Publikums in die Gesellschaft und den städtischen Raum hinein erweitert. Takayamas zuschauerzentrierte Arbeiten sind der Versuch, ein Theater zu erfinden, das über den physischen Theaterraum hinausgeht und sich als neue Plattform mit verändertem Funktionsrahmen in der Gesellschaft etabliert. In den letzten Jahren entwickelte er Arbeiten in diversen Genres, unter anderem Tourismus, Stadtplanung, Kunst, Literatur, Mode und Massenmedien. Dabei nutzt er Ideen des Theaters, um neue Potentiale in einem breiten Spektrum von Medien und Disziplinen zu erschließen. 2014 entwickelten Akira Takayama / Port B zusammen mit dem Mousonturm das Projekt EVAKUIEREN, in dem über 30 S- und U-Bahn-Stationen in der gesamten Rhein-Main-Region zu Startpunkten für individuelle Erkundungstouren zu verschiedenen Communities und theatralen Ready-Mades wurden.

Keigo Kobayashi

Kobayashi war nach Abschluss seines Studiums am Architekturinstitut der Waseda Universität, Tokio, Japan, und der Harvard Graduate School of Design, Cambridge, USA von 2005 bis 2012 am OMA/AMO Büro in Rotterdam tätig. Dort arbeitete er gemeinsam mit Rem Kohlhaas. Während seiner Zeit bei OMA war er als Projektleiter für verschiedene Bau- und Stadtplanungsprojekte im Nahen Osten und in Nordafrika verantwortlich. 2012 begann er parallel zu seiner Arbeit als Architekt eine Lehrtätigkeit am Architekturinstitut der Waseda Universität und gründete die Architekturdesigneinheit I’MIN. Seit 2015 ist er Direktor der NPO PLAT (Platform for Architectural Thinking). 2014 war er für das Ausstellungsdesign des japanischen Pavillons der Architekturbiennale in Venedig verantwortlich. Kürzlich gründete er das Architekturdesignbüro NoRA.

McDonald’s Radio University ist ein Projekt im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser e.V., gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Japan Foundation, der Saison Foundation und der Terumo Foundation for Life Science and Art. Mit freundlicher Unterstützung von McDonald’s Deutschland LLC, CCA Canadian Centre for Architecture, Keigo Kobayashi Laboratory, Dept. of Architecture, Waseda University.

Herzliche Grüße
Künstlerhaus Mousonturm

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