Thu. 15.12.2016

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein erster Höhepunkt unseres Programms im Neuen Jahr sind die
FRANKFURTER POSITIONEN 2017 – das biennale Festival für neue Werke (27.1.-12.2). Thema ist diesmal Ich reloaded. Das Subjekt im digitalen Netz.
Die auf Initiative der BHF-Bank-Stiftung an internationale Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten vergebenen Werkaufträge zielen auf eine künstlerische Auseinandersetzung mit virtuell, medial, gesellschaftlich und ökonomisch konstruierten Identitäten. In dieser achten Ausgabe des Festivals setzen allein drei von uns produzierte Uraufführungen sowie eine weitere Koproduktion den Schwerpunkt im Bereich Tanz und Performance und machen den
Mousonturm zum Festivalzentrum.

Selfies, Profile und Avatare im Netz machen unserem physischen Dasein zunehmend Konkurrenz. In ihrer Performance YOU ARE OUT THERE  (27.-29.1., 20 Uhr Mousonturm, Uraufführung, MT-Produktion) konfrontiert uns das Multimedia- und Digital Arts-Duo doublelucky productions (Chris Kondek, Christiane Kühl) damit, wie Industrie und Bürokratie ihre Manipulationsmöglichkeiten dafür nutzen, unsere digitalen Doubles für ihre Zwecke arbeiten zu lassen. Das Publikum wird zum Komplizen einer multimedialen Geistergeschichte, die mit Hilfe experimenteller IT-Technologie Identitätsmanipulationen dies- und jenseits der Legalität auslotet.

Das Konzert als Aufführungspraxis für Musik ist für das Issho Ni Ensemble (Xavier Le Roy, Tiziano Manca und Christophe Wavelet) mit dem Ensemble
Modern nur Teil eines großen Ganzen: Mit ihrer ‚Echtzeit-Inszenierung‘ Haben Sie „Modern“ gesagt? (28. & 29.1., 15-21 Uhr Frankfurt LAB, Uraufführung durchgehender Einlass, MT-Produk¬tion) erkunden sie Arbeitsprozesse und Präsentationsformen neuer Musik in Form einer Ausstellungsperformance, in der das Publikum unmittelbar erlebt, wie die menschlichen, instrumentalen und technischen Aspekte, die den Alltag des weltbekannten Ensemble Modern prägen, neu zusammengeführt werden.
Wie digitale Vernetzung der Welt neue soziale Wirklichkeiten schafft, ist Thema in Clemens J. Setz‘ Stück Vereinte Nationen (3. & 4.2., 20 Uhr Mousonturm, Uraufführungsinszenierung, Produktion des Nationaltheaters Mannheim): ein Pärchen filmt die Standpauken, die es der kleinen Tochter erteilt, und verkauft die Clips via Online-Plattform im Netz. Der Markt für diese Videos ist groß, doch: Was genau kauft jemand, der etwas „Authentisches“ kauft?
Verena Billinger und Sebastian Schulz bringen in Unlikely Creatures (II): we dance for you  (5.-7.2., 19:30 Frankfurt LAB, Uraufführung, Mousonturm-Koproduktion), dem zweiten Teil ihrer Trilogie, Tänzerinnen und Tänzer in den Unvereinbarkeiten und Unschärfen der Gegenwart  zum Vibrieren und Zittern.

Das Duo ACTUEL REMIX, Xavier Garcia & Guy Villerd, greift moderne Musik
auf und mischt sie mit Werken der derzeit namhaftesten Künstlerinnen und Künstler im Bereich der elektronischen Musik neu ab. Für #01 METROPOLIS unterlegten sie Fritz Langs Film mit einem Remix aus Stücken von Iannis
Xenakis und Richie Hawtin für #02 , den HEINER GOEBBELS’ REMIX, arbeiteten sie mit dem Videofilmer Benoit Voarick. Das neue Projekt ACTUEL REMIX #03 ENSEMBLE MODERN LIVE REMIX, (9.2., 19:30 Frankfurt LAB, Uraufführung) entsteht  in Kooperation mit den Musikerinnen und Musikern des Ensemble Modern, die live improvisieren.

Das Disney-Imperium hat Schneewittchen in Filmen und Shows zum Inbegriff glücklicher Mädchenträume gemacht. Disneyland Hongkong ist der größte Arbeitgeber für philippinische Tänzerinnen, die – wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert – nur namenlose Nebenrollen in der Unterhaltungsindustrie besetzen. Die in Manila lebende Choreografin Eisa Jocson und der Performance-Künstler Russ Ligtas drehen in Princess Studies (11.2., 20 Uhr; 12.2., 18 Uhr Mousonturm, Uraufführung, MT-Produktion) den Spieß um und eröffnen ein Spiel der Identitäten.

In der Reihe FP Extra berichten beteiligte Künstlerinnen und Künstler schon vorab über ihre für die Frankfurter Positionen geplanten Vorhaben oder geben Einblick in ihre Arbeitsweisen. Der Autor, Theater- und Filmregisseur Nuran David Calis (FP Extra 9.1., 20 Uhr Mousonturm) erhielt den Auftrag zum Verfassen eines neuen Theaterstücks, das vom Deutschen Theater Berlin inszeniert wird. Das interdisziplinäre Issho Ni Ensemble untersucht in wechselnder Besetzung mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Kunst das Verhältnis zwischen Geste und Rhythmus und deren strukturierenden Einfluss auf soziale und künstlerische Erfahrungen. Für die Frankfurter Positionen 2017 werden drei seiner Mitglieder, Xavier Le Roy, Tiziano Manca, Christophe Wavelet (16.1., 20 Uhr Mousonturm) mit dem Ensemble Modern zusammenarbeiten. Eisa Jocson (FP Extra 23.1., 20 Uhr Mousonturm) kam als bildende Künstlerin mit Balletthintergrund über den Pole-Dance zum zeitgenössischen Tanz. In ihren Stücken denkt sie über „Geschlecht“, „affektive Arbeit“, „Migration“ und „Körperlichkeit“ nach. Für Princess Studies untersuchte Jocson global standardisierte Projektionen von Glück: Prinzessinnen-Darstellerinnen in Freizeitparks. Alltägliche Erfahrungen mit digitalen Lebenswelten stellen Studierende (Meike Eckern, Jakob Engel, Tatjana Kijaniza, Maria Kobzeva, Jonathan Penca, Lisa-Marie Radtke, Isabella Roumiantsev, Annegret Schlegel, Jan-Philipp Stange, Milena Wichert) der HFMDK (Regie) sowie der Goethe-Universität (Dramaturgie und Theaterwissenschaft) in Installationen, Performances und Lectures in den Fokus. Für FP Extra entwickelten sie mit der Regisseurin Stefanie Lorey und der Dramaturgin Fanti Baum eigene Positionen fürs Festival: Dancing with myself (Uraufführungen, 31.1.–2.2., 19 Uhr Mousonturm, MT-Koproduktionen).

 

Freischwimmer Festival 2016/17
Familiäre Altlasten und gesellschaftliche Deals befördert zuvor, Anfang Januar, das Freischwimmer Festival 2016/17 an die Oberfläche. Präsentiert wird es in seiner neunten Ausgabe von den Produktionshäusern Mousonturm, Gessnerallee (Zürich), Sophiensaele (Berlin), BRUT (Wien), FFT (Düsseldorf) und steht mit ganz Neuem aus Theater, Performance und Live Art unter dem Motto Family Affairs (10.-14.1.).
Hart zur Sache geht es mit dem komplizierten Vermächtnis eines Großvaters, der erst als Pflanzer und Abenteurer in Deutsch-Ostafrika scheiterte, dann dabei, daraus Weltliteratur zu machen. Er endete als ranghoher Nazi. Schon sein unveröffentlichter Roman trägt jenen verhängnisvollen, rassistisch unterlegten Mix aus Politik und Ästhetik in sich, den der Faschismus später par excellence instrumentalisierte. Stoff und Herausforderung für das Züricher Theaterkollektiv K.U.R.S.K., in Leopardenmorde  (10. & 11.01., 19 Uhr) nach gegenwärtigen Möglichkeiten politischer Kunst zu fragen.
Verlust, Exzess, fragil und offen, gleichzeitig Konzert und performatives Spiel mit Entfremdungen, darauf darf man beim Konzert Songs for your Bones der Sängerin, Komponistin, Gitarristin und Performerin Kristin Gerwien als Birth of Jones (10.1.) gespannt sein!
Auf der Suche nach neuen Vater-Figuren und -Rollen arbeitet die Tänzerin und Performerin Veza María Fernández Ramos  mit Frans Poelstra, Roland Rausch-meier und Yosi Wanunu zusammen. Alle drei prägen die österreichische und internationale Choreografie- und Theaterszene und sind selbst auch Väter. In ihrer Performance The Father Care Piece Piece oder: Keine Angst, Papa spielt Theater! (11. & 12.1., 21 Uhr) spiegeln die vier tänzerisch, musikalisch und melodramatisch Macht- und Fürsorgeverhältnisse und entwerfen zugleich alternative Möglichkeiten eines Zusammenlebens.
Mit Attitüde, Sprache und Setting der gegenwärtigen (Selbst)Optimierungs-industrie spielen The Agency (Magdalena Emmerig, Belle Santos, Rahel
Spöhrer, Yana Thönnes) in Love Fiction. Human Process Interventions by
Rylon® (12.1., 20:30 Uhr; 13.11., 21 Uhr; 14.1., 17 & 21 Uhr ): Rylon (Miriam Heinrich Horwitz, Nile Koetting) remodelliert das gegenwärtige Nebeneinander von normativer Paarbeziehung, polyamourösen Strukturen, Neokonservatismus und generally attested attachment disorder (GAAD). Mit seinem Coaching-Programm Love Fiction führt es in die Basics der Rylon Ways of Love and Pleasure ein, Supervisoren begleiten den Change-Prozess zu neuen Skills und Shifts.
Die Kindheitserinnerungen an ihre Großmutter nimmt die Tänzerin und Choreografin Anna Natt zum Anlass, in Dame Gothel…it hurts to be beautiful (13. & 14.1., 19 Uhr) nicht nur Flamenco mit zeitgenössischen Bewegungspraktiken zu verbinden, sondern das Publikum zusammen mit drei Harfenistinnen in klangvolle, bildstarke magische Parallelwelten zu locken. Wie im Märchen vom Rapunzel und der Zauberin Gothel liegt die größte Gefahr darin, dem eigenen Begehren nachzugeben.
Die Dialoge der Vorabendserie Marienhof in den 1990er Jahren sollen heimlich von der Lobbyorganisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” im Zuge einer Neoliberalisierung Europas umgeschrieben worden sein. 2011 wurde die Serie überraschend abgesetzt und geriet in Vergessenheit. 2016 erhält plötzlich die Gruppe ScriptedReality (Schmidt/Salasse/Meder/Krause/Bussmann/
Aumüller) eine Einladung, auf dem Marktplatz des Marienhof aufzutreten, doch der Ort ist unbewohnbar und verwüstet. Da beschließen sie eine komplette Gegenversion der Serie zu schreiben: WIE WIR ES WOLLEN (13. & 14.1., 21 Uhr), ein Lehrstück-Happening in postapokalyptischem Soap-Setting, das vom Publikum gespielt wird.
Am 13.1. feiern wir ab 22 Uhr die Freischwimmer Party im Mousonturm-Lokal – Creutzburg&Zahn spielen in Pappkostümen Popmusik! Und am Samstag 14.1., 14 Uhr gibt es ein Künstlergespräch mit Anna Natt (Berlin), The Agency (Düsseldorf) und ScriptedReality [Schmidt / Salasse / Meder / Krause/ Bussmann / Aumüller] (Frankfurt).

Mehr Tanz
Ein ganz außergewöhnliches Gemeinschafts- und Tanzerlebnis kreiert der Berliner Choreograf Sebastian Matthias mit seiner Serie groove space in Berlin,
Zürich, Freiburg, Jakarta und verbindet jetzt im letzten Teil x / groove space (18.-20.1., 20 Uhr) die Metropole Tokio mit Deutschland. Jede Stadt, davon ist er überzeugt, hat ihren Groove, ihren eigenen urbanen Puls. Den sucht er und spürt mit einem sechsköpfigen Tanzensemble und drei bildenden Künstlern aus Japan den körperlichen Sensibilitäten der Menschen in den jeweiligen Städten nach. Die Frage, was an Kommunikation und Teilhabe im öffentlichen Raum hergestellt werden kann, mündet kongenial in einen eigenen Groove-Space im Theaterraum!
Frey Faust, Protagonist der zeitgenössischen New Yorker Tanzszene, betrachtet in seinem Workshop The Axis Syllabus (13. & 14.1., Tanzplattform Rhein-Main) verschiedene Körperstellen als „Motoren“ und erforscht deren Potenzial für das Freisetzen von Energie. Geeignet für Teilnehmende mit Basiserfahrungen in Tanz- und Bewegungstechnik, Anmeldung per E-Mail an info@ tanzplattformrheinmain.de, Informationen: www.tanzplattformrheinmain.de.

Mehr Theater
Der Frankfurter Regisseur Bastian Sistig folgte auf seiner Spurensuche für
Die Geheimnishaftigkeit gewöhnlicher Menschen (19. & 20.1., 19 Uhr Uraufführung, HTA) lexikalischen Stichworten, die das französische Autorenkollektiv Tiqqun in seiner Theorie vom Bloom in der Tradition der Situationisten versammelt hat. Mit seinem Ensemble inszeniert Sistig eine Allegorie über das Bedürfnis nach Bedeutung, die Außergewöhnlichkeit des Banalen und die Uneigentlichkeit des Seins.

Lesung / Konzert
Die bekannte Autorin und Moderatorin Sarah Kuttner erzählt in ihrer tragikomischen, berührenden, humorvoll geschriebenen Road Novel 180 Grad Meer (7.1., 20 Uhr) vom komplizierten Verhältnis ihrer Protagopnistin Jule zu deren Eltern, geprägt durch einen Vater, der die Familie verließ, eine suizidgefährdete kontrollierende Mutter und den inneren Hass, der Jules Dasein überlagert. Als sie vor ihrer zerbrechenden Beziehung zum Bruder nach England flieht, trifft sie auf den sterbenden Vater. Ein Prozess der Annäherung beginnt, auch an die Widersprüche des eigenen Lebens.

Verlust, Exzess, fragil und offen, gleichzeitig Konzert und performatives Spiel mit Entfremdungen, darauf darf man beim Konzert Songs for your Bones der Sängerin, Komponistin, Gitarristin und Performerin Kristin Gerwien als Birth of Jones (10.1., 21.30) gespannt sein!

Herzlichen Dank für Ihre aufmerksame und kritische Begleitung unseres Programmes. Wir wünschen Ihnen angenehme Feiertage, einen schönen Jahreswechsel und für 2017 alles Gute!

—> download 161215_Pressemitteilung-Januar_FRAPOS-_Freischwimmer-1.pdf