The Hungarian acacia or ‘black locust’ came over the Atlantic to Hungary 300 years ago. Nowadays, it serves Hungarians, as the basis for honey and brandy, is a source of revenue and a symbol of national pride. When the EU introduced its regulations against invasive alien species in 2014, Viktor Orbán used it for his anti-Brussels campaign: “We send this message to Brussels! We will protect the country of Hungary, independent pálinka distillation, honey and the acacia!” As gardeners of a new myth, Kelemen and Pálinkás use satirical documentary theatre for activism in political happenings that redefine the acacia as a national symbol for an open society – so that all, who put down roots in Hungarian soil, can become Hungarians!
Infos
Duration: 70 min.
Language: In Hungarian with German and English surtitles
7.9. combined ticket "Mund-Stück" + "Hungarian Acacia"
And afterwards (10 p.m.): "Unfuck my Future"-Party at Robert Johnson. In the context of Riviera Festivals für Pop- und Clubkultur / Offenbach
Sponsors and Supporters
Direction, concept: Kristóf Kelemen, Bence György Pálinkás
With: Angéla Eke, Katalin Homonnai, Kristóf Kelemen, Márton Kristóf, Bence György Pálinkás
Music: Márton Kristóf
Assistant director: Anita Totobé
Coordination performer: Réka Judit Kiss
Set construction: Dániel Balázsi, Fanni Hegedũs
Light and sound: Mátyás Major
Photos: Krisztina Csányi
English surtitles: Miklós Zsàmboki
German surtitles: Gábor Miklós Thury
Production management: Judit Böröcz
The festival „Unfuck my future. How to live together in Europe” is funded within the framework of the Alliance of International Production Houses by the Federal Government Commissioner for Culture and the Media of Germany as well as the Federal Agency for Civic Education.
Koproduktion: Trafó House of Contemporary Arts, Workshop Foundation. Unterstützt durch: Trafó House of Contemporary Arts, FÜGE Productions – Independently Together, Workshop Foundation Budapest, Ministry of Human Capacities, National Cultural Fund, Jurányi Incubator House. Gefördert im Rahmen des Bündnisses internationaler Produktionshäuser von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie von der Bundeszentrale für politischen Bildung.
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Im Schatten der Pseudoakazie
von Esther Slevogt
Das Bäumchen ist zart und zweifelhafter Abstammung: die „robinia pseudoacacia“, auf Deutsch etwa „Akazie, die eigentlich eine Robinie ist“. In Ungarn ist der Baum ein sogenanntes „Hungaricum“, „eine spezielle, einzigartige, unverwechselbare, nur für Ungarn typische Sache, die durch Ungarn auch in der Welt bekannt ist“. Ein fragiler, kaum einen Meter hoher Setzling dieser Spezies steckt bei der Performance „Hungarian Acacia“ im satten Erdreich, aufgeschüttet auf einer Bühnenschräge. Bald beginnen die fünf Performerinnen und Performer zu sprechen, tanzen, spielen und singen. Martialische Märsche und anderes dokumentarisches Tonmaterial durchdringen die Szene, darunter auch nationalistische Parolen. Auf einer Videowand: Politikerinnen und Politiker der rechten Fidesz-Regierungspartei.
Das „post-faktische Dokumentarstück“, wie die Macher ihr Werk im Untertitel nennen, ist das Ergebnis der Zusammenarbeit des Bildenden Künstlers Bence György Pálinkás und des Autors und Regisseurs Kristóf Kelemen: eine Mischung aus Multimedia-Performance, Poetry-Slam, Installation, Dokumentartheater und postdramatischem Historienstück. Wie hier die Gattungsgrenzen verschwimmen, hat ebenso System wie die Verwischung der Grenzen zwischen echtem und erfundenem historischen Material. Im Gegensatz zu Populisten, die selbst gern mit dieser Methode arbeiten und damit eher benebelnde und aufputschende Wirkungen erzeugen, erreicht das Kollektiv um Kelemen und Pálinkás das Gegenteil: Geschichtsund identitätspolitische Manöver werden als solche transparent gemacht – mit zärtlichem Spott und subversiver Komik.
„Hungarian Acacia“ entwickelt seinen hintergründigen szenischen Kommentar zur Lage der ungarischen Nation aus einer ökologischen Groteske der EU: 2014 erklärte deren Umweltkommission, dass die ungarische Akazie gar keine ungarische, sondern eine amerikanische Akazie sei und sich als „Invasive Alien Species“ erst im 18. Jahrhundert in Ungarn ausgebreitet habe. Wo sie sich seitdem zu einem veritablen Wirtschaftsfaktor entwickelte: zehn Prozent des in der EU produzierten Akazienhonigs stammen aus Ungarn. Die EU-Indizierung verursachte also einen Aufschrei in Ungarn und hysterische Aktionen, um den Ruf des Baumes als nationales Symbol im Bewusstsein der Bevölkerung noch tiefer zu verankern. Obwohl doch die ungarische Regierung seit dem Sieg der Fidesz-Partei im Jahr 2010 schließlich großräumig genau das Ziel verfolgt, alle unungarischen Triebe und Umtriebe massiv zu bekämpfen, das Land einzumauern, um es vollkommen gegen Invasive Alien Species abzuschirmen! Zum Beispiel gegen solche, die hierher aus Kriegsgebieten flüchteten.
Aus diesen Widersprüchen – und dem Paradox, dass eine eingewanderte Spezies im xenophoben Ungarn zum Nationalsymbol werden konnte – schlagen Kelemen und Pálinkás ihr Kapital. Mit naivem Grundton werden erst die verwaltungstechnischen Grundlagen des Plots referiert, dann schraubt sich das Stück affirmativ in immer absurdere Höhen (und vor allem Abgründe) ungarischer Gegenwartspolitik hinein. Das Ganze ist mit hohem musikalischen Gespür für Rhythmus und Atmosphäre gebaut und auch ein Lehrstück über den Umstand, dass nationalistische Geschichtskonstruktion stets nur tendenziöse und postfaktische Behauptung ist.