Ein Brief an einen Schlepplift – Ein Text zum Hören

Kristina Schleifer

Ein Brief an einen Schlepplift

Liebster Sascha, Eigentlich vermisse ich dich nicht. Wie vertreibst du deine Tage? Hast du noch deinen nine-to-five Job wie damals, als wir uns das letzte Mal sahen? Ich denke manchmal daran. Ich habe an der UBahnstation auf dich gewartet, mitten in einem Strom vieler Menschen, aufgeregt, dich wieder zu sehen. Hier und da immer wieder angerempelt von gestressten Leuten nach der Arbeit, noch schnell die nächste Bahn erreichen nur um die Party des Kumpels nicht zu verpassen. Nur um am nächsten Morgen wieder mit der ewig nicht kommenden Bahn ins Büro zu fahren und genau das selbe zu machen wie am Tag zuvor. Alles nur um am vermeintlich wohlverdienten Abend Spaß zu haben. Eine Selbstverständlichkeit, der Alltag, kinderleicht, jeder macht das doch so, jeder trifft sich an so einer Haltestelle mit einer Person um etwas zu unternehmen. Völlig normal. Aber warum fühle ich mich so beobachtet beim Warten an einem Ort, an dem jeder nur Augen für sich hat, keine Zeit um sich auch noch über jemand anderen, völlig Fremden Gedanken zu machen. Trotzdem versuche ich bloß nicht aufzufallen, mich ganz normal zu verhalten, nichts Außergewöhnliches zu machen, bloß nicht stolpern. Ständig umschauen wann du um die Ecke kommst.

Und dann kommst du da langsam den Gang entlang, nicht gestresst, unauffällig, so wie immer. Nur deine Haare sehen ein bisschen dunkler aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Du wirkst so gelassen, so cool, unbeeindruckt von dem Trubel um dich herum. Wir umarmen uns zur Begrüßung und ich versuche das Zittern in meinen Beinen zu unterdrücken. Jedes Mal dieses unsichere Gefühl, ob alles noch so ist wie das letzte Mal, ob du dich verändert hast, ob ich mich verändert habe. Aber eigentlich ist es immer gleich. Wir umarmen uns, ich gewöhne mich kurz daran dich wieder zu sehen und deine Nähe zu spüren. Und immer dann, wenn ich denke, dass meine Beine sich wieder beruhigt haben und mir einen festen Stand geben, durchbrichst du diese Illusion und fängst an zu rennen. Rennen in Richtung Ubahn, so wie alle anderen auch. Rennen mit mir an der Hand, egal ob ich dabei hinfliege oder nicht. Anscheinend ist das meine Aufgabe darauf zu reagieren und wie alle anderen auch zu rennen, und nicht zu stolpern, so wie bei unserem ersten Treffen. Ich folge dir einfach, lasse mich von dir ziehen. langsam gewöhne ich mich ans Rennen. In der U-Bahn kommen wir ins Gespräch, werden warm miteinander, ich kann sitzen, heißt schon mal keine zittrigen Beine. Wir fahren ein paar Stationen während du mir das Gefühl gibst, sicher zu sein. Du fokussierst dich nur auf mich, die anderen sind egal. Plötzlich bleibt die U-Bahn stehen, anscheinend Endstation. Ich schaffe es irgendwie noch schnell aus der Tür zu springen, halte den Atem kurz an. Kurz darauf schließt sich die Tür hinter mir. Nur du bleibst sitzen. Fährst mit der Bahn wieder zurück, ohne ein Wort zu sagen. So schnell und wortlos wie du gekommen bist, bist du auch wieder verschwunden. Ich frage mich manchmal, ob du das mit jeder Person so machst, mit der du dich triffst.

Vermissen tue ich dich eigentlich nicht. Ich denke, du mich auch nicht. Vielleicht ist das ja besser so. Trotzdem weiß ich, dass wir uns irgendwann wieder sehen. Ich weiß nicht welche Stadt und wie du dann aussehen wirst, aber irgendwie bestimmt. Liebster Sascha, eigentlich vermisse ich dich nicht.

Geschrieben von Kristina Schleifer, Gesprochen von Annika Berghäuser

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