Mo. 10.02.2014

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen

wir freuen uns über die Einladung des von uns koproduzierten und Anfang November letzten Jahres – gleich nach der Uraufführung bei der Ruhrtriennale in Bochum – in Frankfurt gezeigten Situation Rooms von Rimini Protokoll zum Berliner Theatertreffen 2014. Eine Auszeichnung, die 2013 auch schon der Mousonturm-Koproduktion Before Your Very Eyes von Gob Squad zu Teil wurde. Umgekehrt haben wir mit Alain Platels Meisterwerk Tauberbach eine der radikalsten Inszenierungen des Berliner Theatertreffens 2014 für den 17. und 18. Juni in den Mousonturm eingeladen: Inspirieren ließ sich der belgische Regisseur, der Tanz, Theater, Musik und Bildende Kunst grandios miteinander verwebt, von der Geschichte einer schizophrenen Brasilianerin, die auf einer Müllkippe lebt, sowie durch ein Projekt des polnischen Künstlers Artur Zmijewski mit Musik von Bach, die von Gehörlosen gesungen eine ungeheure Kraft entfaltet.

Ebenso spektakulär starten wir mit Forced Entertainment & Tarek Atoui in den März: Pünktlich zu ihrem dreißigsten Geburtstag und unserem 25jährigen Jubiläum zeigt die legendäre britische Performancegruppe um Tim Etchells ihre Großproduktion The Last Adventures (Di. 4.3. – Do. 6.3., Frankfurt LAB), in der gewaltigen Soundlandschaft des libanesischen Klangkünstlers und Komponisten Tarek Atoui. Forced Entertainment feiert die Kraft und Fragwürdigkeit des Theaters in einem opulenten Spektakel und setzt dafür einen neobarocken, ironischen Illusionsapparat in Gang: In bizarren Kostümen vollzieht das 16-köpfiges Ensemble mit monströsen Requisiten Initiationsrituale und Totentänze, erscheint als Seeungeheuer, Gefolge tanzender Bäume, Armee ausgebrannter Soldaten und Chor geisterhafter Untoter. Forced Entertainment laden ein in ihr spielerisches und zugleich hochreflektiertes Theater-Universum!

Wie werden wir mit den Ungewissheiten des Lebens und existentiellem Verloren-Sein fertig? In den Gedanken des Frankfurter Choreografen und Tänzers Tony Rizzi schwingt  liebevolle Bewunderung für seine Mitmenschen mit, doch eigentlich möchte er uns allen das Hirn waschen: Zu leicht fallen uns Ablenkung, Trost und Empathie in der Virtualität der Bilder auf Screens und Bildschirmen, während wir vor dem Elend der Straße die Augen verschließen.
Es ist uns fremd aufs wahre Leben zu schauen. In missionarisch-schamanistischer Hemmungslosigkeit werden Tony Rizzi und seine achtköpfige Künstlerfamilie „the Bad Habits“ in der zur Uraufführung kommenden Mousonturm-Koproduktion Wisdom of No Escape (keine Angst, es gibt Untertitel) (Mi  5.3. – Sa. 8.3.; So. 9.3.) versuchen, endlich zur Wirklichkeit durchzudringen.

Ebenso als Uraufführung und Mousonturm-Koproduktion zeigen wir May Zarhys in Kollaboration mit der amerikanischen Künstlerin Kathryn Enright entstandene Choreografie 1325 (Fr. 27.3. –  So. 29.3.). Inspiration waren Virginia Woolfs Worte „Bewegungen sind das Wildeste, Freieste, Unverantwortlichste und Unlehrbarste von allem. Sicherlich kann man sie einfangen, sortieren und als Formen oder Bilder ordnen, und das führt zu Konzepten, zu Gedanken. Aber Bewegungen existieren nicht in Gedanken; sie existieren im Körper.“ Die hier beschriebene Verbindung von Denken und Körper in freie, wildeste Bewegungen zurückzuverwandeln, war für May Zarhy und Kathryn Enreight treibende Kraft für ihr Tanzstück 1325.

„Mongolismus“ – so nannte 1866 John Langdon-Down das heute nach ihm benannte Down-Syndrom. Inspirieren ließ sich der englische Neurologe bei seiner Wortwahl vermutlich von kolonialistischen Völkerschauen, die bis ins 20. Jahrhundert hinein ein lukratives Spektakel für ein millionenfaches Publikum boten. Das Performancekollektiv Monster Truck und drei Performer des Berliner Theater Thikwa inszenieren nun gemeinsam eine Völkerschau über den grausamen Herrscher Dschingis Khan (Sa. 22.3., So. 23.3.,) und präsentieren drei wasch-echte ’Mongolen‘: In schwere Felljacken gehüllt, stellen sie ihre vermeintliche Authentizität und Wildheit zur Schau und wirbeln den Diskurs in unserer Gesellschaft über Behinderungen mitsamt seinen kolonial und rassistisch geprägten Kommunikations-Codes gründlich durchei-nander.

Zwanzig nackte Tänzerinnen und Tänzer lassen ihr Fleisch wackeln, schnalzen, schwabbeln, krachen. Mittendrin folgt die österreichische Tänzerin und Choreografin Doris Uhlich als DJ höchst selbst dem Motto: Let’s party our body! Welche Opulenz und Dynamik erzeugen Fleischlichkeit und die komplette Ausschüttung der tänzerischen, antrainierten Kraft? Doris Uhlichs „Tanz- Gesellschaft“ setzt sich in Bewegung, um Nacktheit frei von Ideologie und Pro-vokation auf die Bühne zu bringen. Nichts wirkt peinlich oder voyeuristisch, vielmehr wird klar, welcher politische und gesellschaftliche Treibstoff in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper steckt. In more than naked (Do. 27.3., Fr. 28.3.) erlebt man tanzendes Fett, das etwas zu sagen hat!

Nach dem großen Erfolg im Dezember 2013 nehmen wir Stéphane Bittouns fulminanten Re-volutions-Coup Nach dem Zorn wieder auf (Fr. 14.3., Sa. 15.3., So. 16.3.), der Reales und Fiktives zu einer Film-Hörspiel-Performance verbindet. Bühne frei für Fidel Castro, Nadeshda Tolokonnikowa, Che, Aung San Suu Kyi, Julian Assange, T. E. Lawrence und ein kleiner Kern von Anonymus-Anhängern.

Triada Kovalenkos Abschlussinszenierung am Gießener Institut für Angewandte Theaterwis-senschaft verknüpft in der gemeinsam mit Alexander Bauer konzipierten Performance 23 Fra-gen zur tunesischen Revolution (Do. 20.3., Fr. 21.3.) in einer Licht- und Objektinstallation Bild- und Tondokumente, Aufzeichnungen und Geschichten, die sie im (nach)revolutionären Tunesien aufspürte  zu einer intensiven, vielstimmigen Komposition: Das Spiel mit Ähnlichkei-ten, Brüchen und Widersprüchen reflektiert die Befangenheit des eigenen, spezifischen Blicks und setzt sich kritisch mit dem Potential des Dokumentarischen auseinander – und entwirft eine Vielzahl von Blickachsen durch ein Ereignis, das schon beinahe als abgehandelt gilt.

Die Zusammenarbeit von Tanzlabor_21 & Tanzetage ist ein wunderschönes Projekt der Be-gegnung und des Aufeinander-zu-Gehens im wörtlichen Sinn: Menschen zwischen 6 und 71 Jahren treffen sich, werden sich ihrer Stärken und Gemeinsamkeiten bewusst und erarbeiten im Laufe weniger Monate in lockeren Proben eine Tanzproduktion: Zu bestaunen ist die Pre-miere von MUNTERWEGS am Sa. 22.3., So. 23.3. um 18.00 Uhr in der Liederbachhalle.


Ausstellung & Konzerte

Die Künstlerin Julia Krause-Harder gehört zu den Strukturalisten im Atelier Goldstein. Seit 2005 arbeitet sie mit gebotener Obsession an einem Konvolut von Objekten mit dem Ziel, alle Saurier, die je existiert haben könnten, in unterschiedlichen Formen nachzubilden. Dabei setzt sie ausschließlich auf gefundene Materialien wie Schnellhefter, Krawatten oder Kabelbinder, was bei der durchweg realistischen Darstellung von Kentrosaurus, Pterosaurus & Co. zu höchst unerwarteten und humorvollen Rückkopplungen mit unserer Gegenwart führt:
Kreaturen (Ausstellungseröffnung Mo. 10.3., 20.00 Uhr, Ausstellung Di. 11.3. – Sa. 29.3.)

Das Frankfurter Atelier Goldstein, dem Julia Krause- Harder angehört, ist ein freies Künstlera-telier. Seit 2001 arbeiten dort 17 Künstler mit körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung in den Bereichen Malerei, Plastik, Grafik, Fotografie und Video. Dabei werden sie in ihrem krea-tiven Schaffensprozess individuell unterstützt und ihre Werke an Museen, Galerien und Aus-stellungshallen im In- und Ausland vermittelt.

Direkt nach der Ausstellungseröffnung spielen Station 17 (Mo. 10.3., 21.00 Uhr). Vor 25 Jah-ren hatte sich die Band auf Initiative des Ex-Blumfeld- Musikers Kai Boysen durch Bewohner der stationären Wohngruppe 17 der Evangelischen Stiftung Alsterdorf und nicht behinderte Musiker gegründet. Jeweils ein behinderter Musiker aus Alsterdorf produziert zusammen mit einem nicht-behinderten Musikproduzenten einen Track, so funktioniert das Prinzip bis heute. Dabei entstanden Kooperationen mit Gastmusikern wie Fettes Brot, Stereo Total, den Golde-nen Zitronen und DJ Koze. Für ihr jüngstes Album haben sie Strazza Streunet von Frittenbude ins Boot geholt. Entstanden ist Alles für Alle – ein Lied auf die Vielfalt und uneingeschränkte Partizipation.

Der aus Nashville stammende William Tyler ist als atemberaubender Gitarrenspieler vor allem mit Lambchop und den Silver Jews bekannt geworden. Als Solo Künstler tourt er nun mit
seinem zweiten Album Impossible Truth durch Europa und kommt für ein Konzert mit unplug-ged Qualität (Sa. 1.3.), bei dem man sein virtuoses Fingerpicking ganz aus der Nähe erleben kann, ins Mousonturm Lokal.

Dominique Dillon de Byington hat hat mit dem Ohren elektrisierenden Timbre ihrer Stimme und ihrem 2011er Debütalbum This Silence Kills auf BPitch Control Furore gemacht, Fans und Fachpresse begeistert. Mit Chanson-Pop, sinnlicher Elektronik und dieser Ausnahme-Stimme à la Feist, Björk oder Joanna Newsom macht die gebürtige Brasilianerin mit Songs aus ihrem neuen Album The Unknown im Mosuonturm Station (Mo. 31.3.).


Programm Februar 2014 – Terminübersicht


William Tyler (USA)
Sa. 1.3., 21.00 Uhr
KONZERT * Lokal im Mousonturm

Forced Entertainment (UK) & Tarek Atoui (LBN)
The Last Adventures
Di. 4.3. – Do. 6.3., 19.30 Uhr
PERFORMANCE / CHOREOGRAFIE
Mousonturm-Koproduktion
* Frankfurt LAB, Schmidtstraße 12

Tony Rizzi and the Bad Habits (DE/USA)
Wisdom of No Escape (keine Angst, es gibt Untertitel)
Mi  5.3.  –  Sa. 8.3., 20.00 Uhr,
So., 9.3., 18.00 Uhr
CHOREOGRAFIE / TANZ
Uraufführung * Mousonturm-Koproduktion

Julia Krause-Harder (DE) / Atelier Goldstein
Kreaturen
Mo. 10.3. – Sa. 29.3.
Eröffnung Mo. 10.3., 20.00 Uhr
AUSSTELLUNG * An Veranstaltungstagen ab 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn, Foyer 1. OG
Station 17
Mo. 10.3.,  21.00 Uhr
KONZERT * Studio 1 unbestuhlt

Stéphane Bittoun (DE/FR)
Nach dem Zorn
Fr. 14.3.. Sa. 15.3., 20.00 Uhr
So. 16.3., 18.00 Uhr
25YMT / THEATER
Mousonturm-Koproduktion
Wiederaufnahme * In Deutsch. Spanische, russische und englische Passagen sind untertitelt.

Triada Kovalenko (AT) und Alexander Bauer (DE)
23 Fragen zur tunesischen Revolution
Do. 20.3., Fr. 21.3., 20.00 Uhr
PERFORMANCE / HTA * Studio 1

Monster Truck (DE)
Dschingis Khan
Sa. 22.3., 20.00 Uhr
So. 23.3., 18.00 Uhr
THEATER / PERFORMANCE * Saal

Tanzlabor_21 & Tanzetage
MUNTERWEGS
Sa. 22.3., So. 23.3., 18.00 Uhr
TANZ
Premiere * Liederbachhalle, Wachenheimer Straße 62, 65835 Liederbach.

May Zarhy (IL/DE)
1325
Fr. 27.3. –  So. 29.3., 19.00 Uhr
TANZ / CHOREOGRAFIE
Uraufführung * Mousonturm-Koproduktion * Studio 1

Doris Uhlich (AT)
more than naked
Do. 27.3., Fr. 28.3., 20.00 Uhr
TANZ / CHOREOGRAFIE  * Saal

Dillon (DE/BR)
Mo. 31.3., 21.00 Uhr
KONZERT  * Saal unbestuhlt