Seit 34 Jahren lagern 513 graue Archivkartons im Depot des Archäologischen Museum Frankfurt. 105 von ihnen tragen die Aufschrift “Börneplatzsynagoge”, auf den anderen steht “Judengasse”.
In den Jahren 1987 und 1990 waren bei Bauarbeiten in der Frankfurter Innenstadt Fundamente der bei den Novemberpogromen 1938 zerstörten Synagoge freigelegt worden sowie von noch aus der Barockzeit stammenden Gebäuden der ehemaligen Judengasse, dem ersten Ghetto in Deutschland. Sämtliche Funde wurden geborgen und in Kartons abgelegt, aber nach einer raschen Archivierung nicht wieder angegangen. Mitte 2020 hat der Archäologe Thorsten Sonnemann begonnen, die Kartons zu öffnen und den Inhalt systematisch zu erfassen. So vermisst, nummeriert, fotografiert, betrachtet, analysiert und inventarisiert er Steine, Kacheln, Scherben, Gebrauchs- und Alltagsgegenstände, sowie auch Teile des brutal zerstörten Toraschreins.
“Unboxing Past” ist ein künstlerisches Projekt, dass erstmals in der Geschichte bedeutender archäologischer Vorgänge die Öffnung der Archivkartons und die damit verbundenen Arbeitsprozesse des Archäologen mit drei Kameras und einem Audioaufnahmegerät akribisch begleitet. “Unboxing Past” ist darüber hinaus ein digitaler Begegnungs- und Archivraum, der in Kooperation mit dem Projekt Motion Bank an der Hochschule Mainz entsteht. Unterschiedlichste Menschen werden in kleinen Gruppen zur Auseinandersetzung mit den Aufnahmen zusammenkommen.
Anders als der Archäologe Sonnemann arbeiten sie mit ihren ganz eigenen Mitteln an einer denkbaren Zukunft der Steine. Statt Zollstock und Waage dienen ihnen Leitfragen zur Orientierung: Wie erinnern wir? Was brauchen wir zur Erinnerung? Wie lässt sich die Geschichte dieser Bruchstücke und der mit ihnen verbundenen, menschlichen Verbrechen vermitteln? Und vor allem: Wie können Steine zum Sprechen gebracht werden?
—> Unboxing Past – eine kollektive Erinnerungspraxis zum Frankfurter Börneplatz
—> Unboxing Past – Wie kann man Steine zum Sprechen bringen?
Cast & Credits
Unboxing Past von Helgard Haug/Rimini Protokoll wird realisiert mit freundlicher Unterstützung durch “experimente#digital – eine Kulturinitiative der Aventis Foundation”, im Rahmen von METAhub Frankfurt.
„METAhub Frankfurt – Museums, Education, Theatre, Arts – Kultur im digitalen und städtischen Raum“ ist ein Kooperationsprojekt des Jüdischen Museums Frankfurt, des Archäologischen Museums Frankfurt und des Künstlerhauses Mousonturm in Partnerschaft mit dem NODE Verein zur Förderung Digitaler Kultur e.V. Gefördert im Programm Kultur Digital der Kulturstiftung des Bundes – gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Weiterhin gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain sowie durch Mittel des Dezernats für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main.
Beteiligte
mit dem Archäologen Dr. Thorsten Sonnemann
Konzept, Regie: Helgard Haug / Rimini Protokoll
Dramaturgie: Moritz von Rappard
Mitarbeit Produktion: Hannah Baumann
Filmschnitt: Juan Pablo Bedoya
Raumausbau: Hagen Bonifer
Videoeinrichtung: Yannic Bill
Entwicklung und Gestaltung Digitaler Begegnungsraum: Fachrichtung Kommunikationsdesign des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Mainz (Isabela Dimarco, Jean Böhm, Prof. Florian Jenett)
Verantwortliche METAhub: Jeanne Charlotte Vogt & Marcus Droß
METAhub Frankfurt
„METAhub Frankfurt – Museums, Education, Theatre, Arts – Kultur im digitalen und städtischen Raum“ ist ein Kooperationsprojekt des Jüdischen Museums Frankfurt, des Archäologischen Museums Frankfurt und des Künstlerhauses Mousonturm in Partnerschaft mit dem NODE Verein zur Förderung Digitaler Kultur e.V. und wird gefördert im Programm Kultur Digital der Kulturstiftung des Bundes, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain sowie durch Mittel des Dezernats für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main.










Biografie
Rimini Protokoll (Haug)
Helgard Haug ist Autorin und Regisseurin und arbeitet in verschiedenen Konstellationen unter dem Label Rimini Protokoll. Auf der Bühne, im Stadtraum und für das Radio entwickelt sie Stücke, die neue Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit eröffnen.
So kopierte Rimini Protokoll mit 200 Bonner Bürgern eine ganze Bundestagssitzung: „Deutschland 2“. Sie inszenierten fünf Experten des mitteleuropäischen Todesarten zu „Deadline“ oder rekonstruierten den Bankrott der belgischen Fluglinie Sabena in Brüssel mit „Sabenation – go home and follow the news“. Weiter entstanden zum Beispiel „Call Cutta in a Box“, ein aus einem indischen Call Centre live geführte Telefongespräch, „100% Stadt“ eine gelebte Statistik-Anordnung für 100 Bürger*innen auf einer Drehbühne und „Hauptversammlung“, eine parasitäre Intervention, anlässlich der Aktionärsversammlung der Daimler AG, sowie „best before“, ein interaktives Videospiel für 200 Theaterzuschauer und mit „Hausbesuch Europa“ lassen sie in privaten Wohnzimmern ein Spiel um das größte Stück des Kuchens spielen…
2018 erarbeitete Haug zusammen mit Jörg Karrenbauer und Aljoscha Begrich „DO’s & DON’Ts“, ein neues Stück für den als mobilen Zuschauerraum umgebauten Truck, mit dem das System urbaner Ordnung unter die Lupe genommen wird und das auch durch Frankfurt tourte.
Rimini Protokoll erhielt eine Reihe renommierter Preise, darunter den Mülheimer Dramatikerpreis, den Sonderpreis des Deutschen Theaterpreises DER FAUST, den Hörspielpreis der Kriegsblinden und für ihr Gesamtkunstwerk den Silbernen Löwen der 41. Theaterbiennale Venedig.









